Der Sturz Milosevics markiert das Ende des
repressivsten und blutigsten der Regimes in Südosteuropa, unter deren
Herrschaft sich seit Ende der 80er Jahre der Übergang vom so genannten
realen Sozialismus zur Restauration des Kapitalismus vollzog. Das Regime
Milosevics ist verantwortlich für die Unterdrückung des Widerstands
der ArbeiterInnen und breiterer Schichten der Bevölkerung gegen die
Versuche der herrschenden Clique der Partei und des Staats, sich in eine
„normale“ Kapitalistenklasse zu verwandeln, ein Unterfangen, das die
Etablierung einer üblen Vetternwirtschaft, die mafiaartige Kontrolle wichtiger
Bereiche der Wirtschaft und eine beispiellose Verelendung breitester
Bevölkerungsschichten nach sich zog.
Das Regime Milosevics instrumentalisierte den serbischen Nationalismus, um den Willen der herrschenden Clique der serbischen Bürokratie in der gesamten jugoslawischen Föderation durchzusetzen und den anderen Nationen seine Bedingungen im Prozess des Abbaus der letzten nichtkapitalistischen sozialen Errungenschaften aufzuzwingen. Die herrschende Clique der serbischen Partei, im Bündnis mit offen bürgerlichen Kräften, faschistischen paramilitärischen Verbänden, der Hierarchie der serbisch-orthodoxen Kirche und in erster Linie gestützt auf die Macht des staatlichen Repressionsapparats, zögerte nicht, die so genannte „Jugoslawische Volksarmee“ in 4 Kriegen gegen die Völker des früheren Jugoslawien einzusetzen.
Das Regime Milosevics entfesselte
1991 den Zerstörungs- und Eroberungskrieg gegen Kroatien, verwandelte
1992-95 mit Hilfe der örtlichen serbischen Nationalisten, später auch
in Zusammenarbeit mit dem gleichermaßen chauvinistischen Zagreber Regime,
Bosnien-Herzegowina in ein Schlachthaus und etablierte auf dem Rücken der
KosovarInnen mit den Methoden des Polizei- und Militärterrors in Kosova
ein Apartheid-System, nachdem es 1989 die Autonomie Kosovas gewaltsam beseitigt
und damit den schrittweisen, aber seitdem unaufhaltsamen Zerfall der
jugoslawischen Föderation eingeleitet hatte.
Ab 1992
verwickelte sich das Belgrader Regime in verschiedene Streitigkeiten mit den
imperialistischen Führungsmächten, was u.a. dazu führte, dass
1992-93 ein Embargo gegen das neue Jugoslawien verhängt wurde. Dennoch
besteht kein Zweifel, dass die Regierungen der westlichen Länder und besonders
Washington die Aggressivität des Belgrader Regimes bis 1998 tolerierten
und direkt oder indirekt unterstützten. Der US-Imperialismus bestand bis
Frühling 1992, d.h. sogar noch nach dem mörderischen Angriff des
„jugoslawischen“ Militärs auf Bosnien-Herzegowina auf der zu diesem
Zeitpunkt offensichtlich rein fiktiven „Einheit“ der jugoslawischen
Föderation.
Mit den verschiedenen
„Befriedungsplänen“ Vance/Owen, Owen/Stoltenberg usw. segneten die
imperialistischen Mächte die „Erfolge“ der serbischen (und natürlich
der kroatischen) Chauvinisten bei der Zerschlagung und der Aufteilung
Bosnien-Herzegowinas ab. Den Höhepunkt dieser zynischen Einmischung
hauptsächlich der amerikanischen Imperialisten zu Gunsten der
militärisch Stärkeren bildete der Vertrag von Dayton (1995), bei dem
Milosevic die Rolle eines der wichtigsten Garanten des angeblichen Friedens und
der Stabilität in den Staaten des früheren Jugoslawien übernahm,
während Kosova der Gnade der herrschenden Belgrader Clique ausgeliefert
blieb. Die imperialistischen Mächte versäumten allerdings nicht die
Gelegenheit, in Bosnien-Herzegowina das erste Protektorat auf dem Territorium
des früheren Jugoslawien zu errichten und auf ihre Weise das Recht der
Völker des Balkans auf nationale Unabhängigkeit mit Füßen
zu treten.
Seitdem nutzte der US-Imperialismus
den Nationalhass und die nationale Unterdrückung, die die Beziehungen
zwischen den Nationen als Folge der katastrophalen Kriege prägten, zu
einer noch systematischeren Politik des „Teile und Herrsche“ im früheren
Jugoslawien. Als sich das Belgrader Regime daran machte, den Aufstand der aller
demokratischen Rechte beraubten KosovarInnen mit militärischer Gewalt
niederzuschlagen, fanden Washington und die NATO die Gelegenheit, nach einigen
Monaten passiven Abwartens offen mit militärischen Mitteln zu
intervenieren.
In den Verhandlungen von Rambouillet
diktierten sie beiden Seiten ihre Bedingungen. Sie lehnten das Recht der
KosovarInnen auf nationale Selbstbestimmung, d.h. ihr Recht, selbst frei und
demokratisch darüber zu entscheiden, ob sie den jugoslawisch-serbischen
Staatsverband verlassen, einen eigenen unabhängigen Staat gründen
oder was sonst auch immer, wie z.B. die Vereinigung mit Albanien, anstreben
wollten, ab. Gleichzeitig forderten sie das Milosevic-Regime ultimativ auf,
seine Militär- und Polizeieinheiten aus Kosova abzuziehen und nahmen die
Weigerung Belgrads zum Anlass für die barbarischen Bombardierungen
Jugoslawiens und die Verwandlung Kosovas in ein imperialistisches Protektorat.
Auf Grund all dieser Entwicklungen
verschlechterte sich die Situation der Arbeitenden und der großen
Bevölkerungsmehrheit immer mehr. 1996-97 versuchten große
Massenmobilisierungen, den Rücktritt Milosevics zu erzwingen, aber ohne
Erfolg. Der hauptsächlich bürgerlich und prowestlich orientierten,
aber auch betont nationalistischen und in sich gespaltenen Opposition gelang es
nicht, die Unterstützung der herrschenden Kreise und des Staatsapparats
für Milosevic und seine Partei zu erschüttern.
Während die NATO-Bombardierungen
für einige Monate die Stellung Milosevics in der innenpolitischen Szenerie
festigten, trugen sie nicht nur entscheidend zu einer weiteren Verschlechterung
der Situation der Arbeitenden, sondern auch zur internationalen Isolierung des
(neuen) Jugoslawien bei. Gerade dies
überzeugte, wie es scheint, größere Teile der herrschenden
Kreise in Staat und Wirtschaft davon, dass die Aufrechterhaltung von Milosevics
Regime keine Zukunftsaussichten mehr bot. Die Interessen dieser Eliten
müssen sich unter den Bedingungen der kapitalistischen Restauration
letztendlich auf die eine oder andere Weise an den Gegebenheiten der
internationalen Situation orientieren.
Es ist wahrscheinlich übertrieben, wenn von einer
„demokratischen Revolution“ gesprochen wird. Die Fundamente des Staatsapparats
wurden nicht ernsthaft erschüttert und der neue Präsident Kostunica
beeilte sich zu versichern, dass seine erste Sorge dem reibungslosen weiteren
Funktionieren der Staatsorgane gelte. Noch weniger wurde durch den Aufstand die
Restauration des Kapitalismus in Frage gestellt, die in den letzten 10-15
Jahren scheinbar unaufhaltsam immer weiter vorangeschritten ist. Die Parteien und
Führer der bisherigen Opposition, die jetzt versuchen, eine neue Regierung
zu bilden, werden sich eine Zeit lang auf die Illusion stützen, dass mit
einer stärkeren Öffnung gegenüber dem Westen eine schnelle
Verbesserung der Lebensverhältnisse erreicht werden könnte. Diese
Erwartungen werden aber ebenso enttäuscht werden wie in allen anderen
osteuropäischen Ländern nach 1990.
Die politischen Kräfte, die jetzt darum kämpfen, die Macht zu übernehmen und unter sich aufzuteilen, werden aller Voraussicht nach weder in der Lage sein, die wirtschaftliche, politische und soziale Situation in Serbien selbst noch die Beziehungen zwischen den Völkern des früheren Jugoslawien und des Balkans grundsätzlich zu verbessern. Allein die Tatsache, dass Kostunica und Djindjic jetzt die Regierungsbeteiligung der faschistischen Partei Seseljs in Erwägung ziehen, zeigt zur Genüge, wie oberflächlich der nach Ansicht der internationalen Massenmedien so tiefgreifende „demokratische Wandel“ in Wirklichkeit ist.
Der erfolgreiche Volksaufstand
bedeutet dennoch eine ernste Warnung an die neuen Machthaber, wer sie in naher
Zukunft auch sein mögen. Er erinnert sie daran, dass die Wut und die
Entschlossenheit der in Bewegung geratenen Massen jede Staatsmacht stürzen
können, in gewissen Fällen sogar innerhalb weniger Stunden.
Die Hauptschwäche des
Volkswiderstands besteht aber im fast vollständigen Fehlen der
sozialistischen Vision, das hauptsächlich auf das abschreckende Beispiel
derartiger angeblich „kommunistischer“ oder „sozialistischer“ Regimes wie dem
Milosevics zurückzuführen ist. Der Wiederaufbau wirklich
unabhängiger Gewerkschaften und einer klassenunabhängigen
ArbeiterInnenpartei wird aber für die Verteidigung der elementaren
demokratischen Rechte der Arbeitenden, die Eindämmung der schlimmsten
Kriegsfolgen und der kapitalistischen Restauration, aber auch des
bevorstehenden Ausverkaufs des ganzen Landes an den Westen notwendig sein.
Die Entwicklung und Organisation des
ArbeiterInnenwiderstands wird auch entscheidend sei, um das in den letzten
10-12 Jahren völlig negative Klima des Nationalhasses und der
Feindseligkeiten, das von den herrschenden Cliquen hauptsächlich Serbiens
und Kroatiens mit ihrer Kriegstreiberei und der blutigen Unterdrückung der
nationalen Minderheiten erzeugt worden ist, endlich umzukehren.
In dieser Hinsicht ist es mehr als
problematisch, dass Kostunica als so genannter „guter Patriot“ und neuer
Präsident in seiner ersten Rede im Parlament von der Reintegration Kosovas
in den serbischen Staat gesprochen hat. Es ist klar, dass die KosovarInnen
derartige Erklärungen als direkte Drohung begreifen müssen, in
Zukunft wieder mit militärischer Gewalt von Serbien unterworfen zu werden.
Tatsächlich steigt mit dem Sturz Milosevics die Gefahr, dass die
imperialistischen Mächte unter bestimmten Bedingungen Kosova an einen
jetzt als „demokratisch“ deklarierten serbischen Staat verkaufen.
Andererseits begünstigt der
fortgesetzte unversöhnliche Gegensatz zwischen den KosovarInnen und
Serbien besonders die Schiedsrichterrolle, die die imperialistischen
Mächte übernommen haben, und die Verewigung des Status Kosovas als
Protektorat. Es ist offensichtlich, dass mit der „patriotisch“-nationalistischen
Haltung Kostunicas und der anderen bisherigen Oppositionspolitiker keins der
nationalen Probleme, die den Zerfall des früheren Jugoslawien auf so
zerstörerische Weise geprägt haben, jemals gelöst werden kann.
Die Fortsetzung der Politik des bürgerlichen Nationalismus bedeutet
weiterhin eine hoffnungslose Sackgasse und muss unbedingt gestoppt werden.
So bestätigt sich wieder, dass
nur die tatsächliche Respektierung des Rechts auf nationale
Selbstbestimmung durch die größeren Staaten der Region wie Serbien
einer tiefgreifenden Demokratisierung der Gesellschaften, der Demilitarisierung
und der Versöhnung der Völker öffnen kann. Nur so wird sich die
Perspektive erschließen, die sich den Nationen des früheren
Jugoslawien und des Balkan bietet, wenn sie die Verelendung als Folge der
reaktionären kapitalistischen und bürokratischen Politik, der
nationalistischen Kriege, der chauvinistischen Verblendung und der Intoleranz
überwinden wollen. Diese Perspektive ist die sozialistische Balkanföderation.
Übersetzung
aus Spartakos Nov.2000